Selbst-Ausbeutung oder Selbst-Verwirklichung?

Pietro Dorando, London Olympiade 1908
Pietro Dorando, London Olympiade 1908

Schon mal was von „Dynaxität“ gehört? Nein? Gemeint ist mit dieser kreativen Wortschöpfung die stetig zunehmende Mischung aus Dynamik und Komplexität – und damit das, worunter viele so langsam in die Knie gehen.

 

Viele Unternehmen haben das auch erkannt und bieten Unterstützung in Form von Gesundheits-Management-Systemen, darunter Burnout-Prophylaxe-Programme, Resilienz-Trainings, Time-Management-Seminare, Sportprogramme, Coachings und vieles mehr. Das ist auch gut und sinnvoll! Rührt aber oft ein – fast schon - Tabu-Thema nicht an: Das Neu-Setzen von Grenzen.

Das Gefühl „Ich kann nicht mehr!“ oder „Ich will nicht mehr!“ kennt so mancher. Aber daraus eine tiefe Einsicht und Akzeptanz dafür abzuleiten, wo die eigenen Grenzen sind, und das auch zu zeigen, das können die Wenigsten.

Das eigene Selbstbild einer erfolgreichen, leistungsfähigen, sich stetig weiterentwickelnden Person ist doch zu verlockend. Der Vergleich mit der Konkurrenz lauert überall, ob das die andere Mutter in der Kita ist, die ich dabei beobachte, wie sie alles unter einen Hut kriegt, oder der Kollege, der immer einen Tacken schneller ist. Angetriggert durch Sachzwänge „Ich muss ja, weil die Hypothek noch ein paar Jahre läuft!“ oder die Idealbilder aus den Medien, denen wir permanent ausgesetzt sind: Mithalten ist alles!

 

Wir haben die daraus entstehenden Glaubenssätze schon so verinnerlicht, dass wir unsere eigenen Bedürfnisse schon nicht mehr genau hören. Oder schlagen voll in die andere Richtung um: „Jetzt komme ich – im Hier und Jetzt!“ und gehen in die Selbst-Verwirklichung. Yoga, Meditation, Kreativität für Fortgeschrittene... alles möglicherweise neue Leistungsfelder, in denen die alten Gefahren lauern. „Atmet der neben mir nicht schon viel professioneller?“ – „28 Tai Chi-Schritte, die muss ich bis nächste Woche drauf haben.“ – „Meine Mitte???, letzte Woche auf der Waage wusste ich noch, wo die war.“

 

Leistung macht Spaß! Das habe ich mal auf dem Käppi eines Kollegen gelesen. Stimmt auch, uns Menschen ist die Freude an der Leistung in die Gene geschrieben! Aber wann ist genug? Wer sagt uns das? Und wo sind die Maßstäbe dafür?


Sind Sie auch Ausbeuter und Ausgebeuteter in einem? Als Führungskraft im Unternehmen sollen Sie dafür sorgen, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bearbeitbare Zielvorgaben haben, die sie nicht überfordern. Das kann ganz schön Stress machen, für andere zu sorgen und den eigenen Druck mit sich selber ausmachen. Viele Unternehmen haben Verantwortung nach unten verlagert, das stärkt die Motivation und fördert eigenverantwortliches Handeln. So an der Ehre gepackte Mitarbeiter bringen sich auch mehr in die Arbeit ein und haben möglicherweise auch mehr Spaß an der Arbeit.

 

Und stolpern kollektiv in die Falle der Selbstausbeutung!

 

Wann haben Sie das letzte Mal erlebt, dass ein Chef, der Leiter einer Besprechung oder eines Projektes in einer Sitzung oder einem Gespräch gesagt hat: „Ich ! brauche jetzt eine Pause.“ Das wäre vorgelebte Sorge für sich selbst. Könnte man hinter die Stirn dieser Menschen blicken, würden sich wahrscheinlich eher Überlegungen wie diese auftun: „Wie sieht das aus, wenn gerade ich jetzt nicht durchhalte?“ – „Gestern habe ich noch von Motivation geredet, dann kann ich jetzt nicht...“

 

Die Erschöpfung als Ritterschlag für gelebte Leistung

 

... und der Beta-Blocker als Grundnahrungsmittel für die Erfolgreichen an der Spitze.

 

Mir hatte mal ein Lauf-Kollege zu Beginn meiner Marathon-Karriere den Tipp gegeben, mir zuerst nur eine Dauer zu setzen, die ich laufen wollte und nicht eine bestimmte Strecke im Blick zu haben. Die Trennung von Raum und Zeit hat mich zwar nicht sofort zum Sieger gemacht, aber eine wichtige Voraussetzung geschaffen – den Erhalt der Freude am Laufen.

 

Ein weiterer Lerneffekt, den mir jede Trainingseinheit und jeder Wettkampf gebracht hat, ist der spielerische Umgang mit den eigenen Grenzen. Herantasten, manchmal frech überschreiten, wieder etwas herunterfahren und vor allem nicht fremdsteuern lassen; im Sinne von anstacheln lassen und die eigenen Maßstäbe verlieren.

 

Wenn Leistung wirklich dauerhaft Spaß machen soll, sollten wir einen Schritt weiter sein, als Friedrich Nietzsches „Ecce homo“: „Was ihn nicht umbringt, macht ihn stärker.“

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Kommentare: 2
  • #1

    Analisa Ogilvie (Mittwoch, 01 Februar 2017 13:50)


    First of all I want to say great blog! I had a quick question which I'd like to ask if you don't mind. I was curious to find out how you center yourself and clear your thoughts before writing. I've had a tough time clearing my thoughts in getting my thoughts out there. I truly do take pleasure in writing however it just seems like the first 10 to 15 minutes are usually lost just trying to figure out how to begin. Any suggestions or hints? Many thanks!

  • #2

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